Ich schaue zurück

04Juni2017

 

Image: Thinking, © Kacper Gunla via CC BY-NC 2.0, source: Flickr, no endorsement on part of the licensor

Als ich am ersten März in Dar es Salaam landete, wurde ich am Flughafen abgeholt. Ich trat aus dem Flughafengebäude heraus und betrat eine neue, fremde Welt.

Als ich am ersten Juni nach Kenia ausreiste, wurde ich vom Haus meiner Gastfamilie zum Bus gebracht. Ich verabschiedete mich von einer mittlerweile vertrauten Welt.

Zwei Autofahrten durch das frühmorgendliche Dar es Salaam. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Drei Monate Tansania. Eine Menge erlebt, vieles anders gewesen als erwartet oder geplant.

Einige Erkenntnisse:

  • Mein Handy immer aufzuladen, wenn ich in die Nähe einer Steckdose komme. Man weiß halt nie, wann der nächste Stromausfall naht, aber er kommt sicher, sobald der Handyakku leer ist.
  • Dass es weder offizielle Bushaltestellen noch Fahrpläne, festgelegte Buslinien oder Verkehrsnetz-Karten braucht, um von A nach B zu kommen.
  • Fließend Wasser wird überschätzt.
  • Kakerlaken können fliegen. Und sind verdammt schwer zu fangen.

Alles obenstehende wird immens überschätzt. Es mögen diese oberflächlichen Dinge sein, die dir anfangs am ehesten auffallen und dich am meisten erschrecken, aber dies sind auch die Dinge, an die du dich am schnellsten gewöhnst. Nach ein paar Wochen macht dir das nichts mehr aus.

Es sind die tiefergehenden Dinge, die dich viel mehr und viel länger herausfordern, die aber auch die meisten Erkenntnisse bringen. Du lernst Dinge über andere Menschen, ihre Lebensweisen und Perspektiven, aber vor allem lernst du Dinge über dich, und nicht alle werden dir gefallen.

Hier also meine persönliche (und unvollständige) Bilanz der vergangenen drei Monate. Ich habe gelernt, dass:

  • Manche Gesellschaften das Kollektiv über das Individuum stellen und es diesen Menschen nichts ausmacht, wenn es wenig Privatsphäre und Rückzugsräume gibt, wenn untergründig erwartet wird, dass sie ihren Besitz und ihre Ressourcen mit anderen teilen und nicht einfach nein sagen können, wenn es ausgeprägte soziale Kontrolle gibt und Konformität erwartet wird. Die Gemeinschaft sorgt für Sicherheit und das Gefühl, aufgehoben zu sein, insbesondere wenn es keinen Sozialstaat gibt, der das übernimmt.

    Wenn man in großen Familien und mit einem engen sozialen Netz aufgewachsen ist, fühlt man sich in Gesellschaft vermutlich aufgehoben und wohl, auch wenn ich es immer anstrengend fand, ständig von Menschen umgeben zu sein und nicht einfach mal eine Tür hinter mir schließen zu können.

  • Identität und Selbstwahrnehmung sehr verschieden geformt werden können. Ich kann mich über meine Interessen, Leistungen und achievements definieren, in Abgrenzung zu anderen Menschen. Oder ich kann mich über meine Nationalität, meine Religion oder andere Gruppierungen, denen ich angehöre, definieren, im Bezug auf andere Menschen.

  • Freizeit und Erholung anscheinend ein ziemlich westliches Konzept sind. Während ich mich in den Osterferien darauf gefreut hätte, eine Woche lang nichts tun zu müssen, fanden alle anderen reichlich Arbeit, die zu tun war. Und selbst für die Freiwilligen stellten sie einen Plan mit Aktivitäten auf, damit wir auch was zu tun hatten. Wir sollten uns schließlich nicht langweilen…

  • Ich den Arbeitsaufwand hinter bestimmten Dingen erst wertschätze, seit ich an Orten ohne Waschmaschine, Trockner, Staubsauger, Rasenmäher und Spülmaschine lebe. Meine Theorie re: Punkt II besagt ja, dass wir erst seit wir alle diese Dinge besitzen, auch Freizeit zum Selbstzweck erheben können.

  • Die meisten Dinge, mit denen wir zum Arzt rennen, ziemliche Bagatellen sind. An der nursery school, wo ich war, hatten die Kinder zwar andauernd ziemlich hässliche Wunden oder liefen monatelang mit einer triefenden Nase herum, aber überlebt haben sie es alle. Es gab zwar ein paar unschöne Narben, aber ihr Immunsystem ist auf jeden Fall bewundernswert.

Also: Nur weil ich Dinge auf eine bestimmte Weise sehe oder bestimmte Prioritäten setze, heißt das noch nicht, dass ich damit die einzig richtige Sichtweise besitze. Menschen können auf Basis der selben Sachlage zu verschiedenen Schlussfolgerungen und Entscheidungen gelangen, ohne das es ein eindeutiges „richtig“ oder „falsch“ gibt.