Anderssein - ein Erfahrungsbericht

10Juli2017


Image: Be different, © Jakob Lawitzki via CC BY 2.0, source: Flickr, no endorsement on part of the licensor

An diesem Beitrag habe ich lange gesessen. Er ist über mehrere Wochen hinweg noch in Tansania entstanden, und ich habe lange gezögert, den Post zu veröffentlichen. Ich kann noch nicht mal genau sagen: Warum eigentlich? Weil es ein sehr persönlicher Eintrag ist? Weil ich mir nicht sicher bin, ob ich dem Thema gerecht werden kann? Weil ich vielleicht alles doch nur missverstanden habe?

Ich bin mir hier bei vielem nicht sicher, und deshalb habe ich diesen Post explizit als Erfahrungsbericht überschrieben. Er spiegelt nur meine eigene, sehr subjektive Sicht auf die Dinge wider.

Anders sein kann man in Bezug auf vieles. Musikgeschmack, Hobbies, Fähigkeiten etc. Aber das erste, anhand dessen wir Menschen bei jeder Begegnung als anders erkennen (und häufig auch abstempeln) ist, klar, Aussehen. Und was das angeht, ist es leicht, mich hier als anders auszumachen.

Was sich bisher für mich als nicht unbedingt schlecht herausgestellt hat. Ich bin viel Offenheit und Neugier begegnet. Fremde Leute, die mich einfach in ein Gespräch verwickeln, ungefragt für mich den richtigen Bus nach Hause auftreiben oder mir den Weg zeigen. Niemals habe ich eine negative Bemerkung gehört, Ablehnung oder Diskriminierung erfahren. Zumindest mein Anderssein scheint hier kein Grund für Ausgrenzung zu sein – ich kann nichts dazu sagen, wie andere Formen von Anderssein aufgenommen werden.

In Anbetracht dessen, was das Deutsche Kaiserreich in der Kolonialzeit der Bevölkerung Tansanias  (Teil des damaligen „Deutsch-Ostafrikas“) angetan hat – inklusive des blutig niedergeschlagenen Maji-Maji Aufstands – , wären antideutsche Ressentiments absolut verständlich, aber mir sind nie welche begegnet.

Meiner Gastschwester, die sich gerade für einen Freiwilligendienst in Deutschland beworben hat, könnte ich jedenfalls nicht zusichern, dass auch sie bei uns so freundlich aufgenommen werden würde. Weil sie eben von vielen als „fremd“ und „nicht weiß“ wahrgenommen würde. Und ich fürchte, dass ihr dieses Anderssein in Deutschland eher einen Nachteil als – wie mir – einen Vorteil einbringen würde. Und das ist schlicht und einfach unfair und falsch.

Ich habe manchmal sogar den Eindruck, dass ich einen „Fremden-Bonus“ habe. Mir wird schnell nachgesehen, irgendetwas aus Unwissenheit falsch gemacht zu haben. Ich kann nicht sagen, ob das auch so wäre, wenn ich nicht weiß wäre. Denn darin besteht am Ende der größte augenscheinliche Unterschied, der mich anders macht. Ob es sich daher um einen „Fremden–Bonus“ oder „Weißen-Bonus“ handelt, kann ich nicht sagen. Und während ersteres – Menschen aus einem anderen Land unterschiedslos gute Absichten zuzutrauen, weil sie es möglicherweise nur nicht besser wissen – natürlich begrüßenswert wäre, wäre letzteres – Menschen Dinge nachzusehen, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe „mehr dürfen“ – letztendlich auch Rassismus. Menschen mit der „richtigen“ Hautfarbe zu bevorzugen ist letztendlich auch eine (indirekte) Diskriminierung von people of colour.

Und es ist ein ziemlich perverses System, in dem wir "Weißsein" anscheinend zur Norm erhoben haben und als „besser“ gelten lassen, sogar in den Köpfen vieler Leute hier, habe ich häufig den Eindruck.

An Ostern waren wir bei der Nichte meiner Gastmutter eingeladen, die uns in ihrem Haus empfangen und bewirtet hat. Gastfreundschaft ist hier eine Selbstverständlichkeit und sehr hoch angesehen. Ich habe sie als eine herzensgute und großzügige Gastgeberin erlebt und ich bin mir sicher, dass sie nur die besten Absichten hatte.
Gleichzeitig wird aber auch das eigenes Ansehen davon beeinflusst, wie gastfreundlich man ist, und wie „hochgestellt“ oder „prestigeträchtig“ die eigenen Gäste sind.
Jedenfalls ließ sie es sich nicht entgehen, uns auf dem Rückweg zu begleiten und sich mit uns sehen zu lassen und den Nachbarn vorzustellen (oder vielleicht auch eher vorzuführen). Dann rief sie irgendjemanden an (keine Ahnung, wer das war) und hielt mir plötzlich das Telefon ans Ohr, um mich mit irgendeinem Wildfremden sprechen zu lassen. Und zwar nur mich, nicht meine Gastschwester und -mutter. Was mir das Gefühl gibt, dass sie weniger ihre Verwandtschaft als „die mzungu“ irgendwie herumzeigen wollte. In dem Moment habe ich mich benutzt gefühlt, ein Prestigeobjekt oder Statussymbol, das man wie ein neues Auto oder einen neuen Fernseher präsentiert. Ich möchte niemandem irgendwelche schlechten Absichten unterstellen – ich glaube nicht, dass ihr oder dem Fremden am Telefon oder den Nachbarn die Dynamik dahinter bewusst war –, aber ich hatte den Eindruck, dass wir in dem Moment alle Opfer eines Systems waren, in dem sie (unbewusst) sich selber herabwertete und mich höher stellte, aber nicht als Person oder für wer ich bin, sondern für was ich in den Augen der Anwesenden darstellte.