Alles ganz normal

17Juli2017

Image: Normal One, © John Weise via CC BY-NC-SA 2.0, source: Flickr, no endorsement on part of the licensor

Heute geht es mal um mich. Darum wo ich wohne, wie ich lebe und was ich tue. Ich kann mir vorstellen, dass sich niemand zuhause so wirklich vorstellen kann, wie das Leben hier aussieht. Bevor ich herkam ging‘s mir nämlich auch so. Und hätte mir jemand damals erzählt, dass ich mal eine ganze Woche ohne fließendes Wasser verbringen würde, hätte ich die ganze Aktion vielleicht sogar gleich wieder abgesagt. Aber wenn man eine Weile hier gewesen ist, verschiebt sich die eigene Wahrnehmung davon, was normal ist. Hier also meine aktuelle Version von Normalität und Alltäglichkeit:

Ich bin in Nairobi, Kenia. Genauer genommen in Buru Buru. Wer sich in Nairobi auskennt, weiß, dass der Wohnort hier immer auch etwas über die Herkunft und gesellschaftliche Position aussagt. Buru Buru lässt sich daher auch als „Vorort für die untere/mittlere Mittelschicht“ lesen.

Da die Briten in der Kolonialzeit ihr eigenes Klassensystem nach Nairobi übertragen zu haben scheinen, spiegelt sich das auch im Stadtbild wieder. Nairobi ist einerseits in West und Ost unterteilt; im Westen liegen die prestigeträchtigen und vornehmen Stadtviertel für alle, die es sich leisten können; im Osten wohnt, wer das (wie ich) nicht bezahlen kann. Und dann gibt es noch die Slums für diejenigen, denen auch Viertel wie Buru Buru zu teuer sind.

Das Stadtzentrum ist etwa eine halbe Stunde Busfahrt entfernt und unterteilt sich nochmals in Downtown („Unterstadt“) und Uptown („Oberstadt“). Downtown besteht aus aneinandergedrängten, niedrigstöckigen Häusern, entlang der Straßen reihen sich die Stände von Straßenhändlern, der Verkehr ist dicht (und laut). In Uptown stehen Hochhäuser und neoklassizistische (?) Kolonialbauten, die Straßen sind breiter (und sauberer), es gibt teure Markengeschäfte und ausgedehnte Grünflächen.

Die Busse heißen „Matatus“ und wetteifern miteinander um Kundschaft und die schrillste Aufmachung. Jeder Busfahrer gestaltet seinen Matatu so, wie es gefällt. Außerdem spielen sie im Innern laute Musik ab, um Kundschaft anzulocken; bei mir führt das aber dazu, dass ich nur mit Ohrstöpseln fahren kann.

Untergebracht bin ich bei R., die, seit ihre Kinder aus dem Haus sind, deren Zimmer an Freiwillige vermietet. Zusätzlich hat sie auf ihrem Hinterhof Verschläge (mir fällt kein besseres Wort für diese Behausungen ein) errichtet, die sie ebenfalls vermietet. Ich nehme an, die sind für jene gedacht, die sich kein richtiges Zimmer im Haus leisten können. Zum Haushalt gehören also R., ihre Haushaltshilfe B. eine wechselnde Anzahl an Freiwilligen (m Moment sind das eine weitere Deutsche, ein Niederländer und ich) und die übrigen Mieter_innen.

Strom haben wir fast immer, und Wasser gibt‘s die meiste Zeit über. Allerdings reicht der Druck in der Leitung fast nie aus, um das Wasser in den ersten Stock hinaufzubefördern, sodass B. das Wasser vom Außenhahn auf dem Hof holen und die Treppe hinauf schleppen muss, um die großen Tanks zu befüllen, die im Badezimmer und Flur stehen. Dieses Wasser können wir dann zum Duschen und Toilettenspülen benutzen.

Samstags ist (inoffizieller) Waschtag, wenn alle Mieter_innen versuchen, etwas von dem (zumeist dünnen) Strahl abzubekommen, der aus dem Wasserhahn kommt, und sich mit ihren Waschbottichen den Platz auf dem Vorderhof gegenseitig streitig machen. Abgesehen von den männlichen Freiwilligen habe ich bisher nur Frauen waschen gesehen. Es ist eine ziemlich eintönige Arbeit – tunken, schrubben, wringen – tunken, schrubben, wringen – usw. Aber sie hat durchaus eine kontemplative Komponente: Man muss nicht über das, was man tut, nachdenken, sondern kann seine Gedanken schweifen lassen, ohne dass es viel Ablenkung gäbe.

Unter der Woche arbeite ich bei einem Mikrokreditfonds, der Kredite an Leute vergibt, die ein Business starten oder ausbauen möchten, aber bei einer Bank keine Chance hätten, weil sie nicht wohlhabend genug sind, um als kreditwürdig zu gelten.

Das Büro ist etwa 10 min Fußweg entfernt – ich kann also ausschlafen. Theoretisch beginnt der Arbeitstag um 8 Uhr, de facto taucht aber niemand vor 9 Uhr auf (die kenianische Vorstellung von Pünktlichkeit entspricht nicht so ganz unseren deutschen Standards). Wir haben einen ziemlich kleinen Raum mit drei Schreibtischen und einem Computer, der noch mit Windows XP läuft (ich wusste gar nicht mehr, wie man das bedient). Wir sind momentan fünf Leute: zwei fest Angestellte, zwei Freiwillige (inkl. mir) und eine Praktikantin. Es gibt nicht wirklich genug zu tun, um fünf Leute beschäftigt zu halten, deshalb habe ich mir jetzt selbst ein Projekt gesucht, damit ich was zu tun habe, und habe angefangen, eine digitale Datenbank aller Mitglieder zu erstellen, und dabei an alle eine eindeutige Mitgliedsnummer zu vergeben. Bisher gibt es nämlich nur einige Ordner voller unsortierter Registrierungsformulare und es ist unmöglich, eine bestimmte Person darin zu finden. Ich habe zum Glück meinen eigenen Laptop mitgebracht und bin mittlerweile ziemlich stolz darauf, dass ich mir die nötigen Software-Kenntnisse für die Datenbank selber angeknobelt habe. Ich hoffe, die Datenbank diese Woche fertigstellen zu können. Dann muss ich dann nur noch den anderen Mitarbeiter_innen beibringen, wie sie sie benutzen und fortführen können, und danach habe ich vielleicht noch Zeit, die Akten entsprechend der von mir eingeführten Mitgliedsnummern zu sortieren, bevor ich gehe. Es sind ja nur noch zwei Wochen…